Donnerstag, 29. September 2016

„So viel legale Arbeit und Organisation wie möglich“

Vor 60 Jahren sprach die westdeutsche Regierung unter Kanzler Adenauer ein allgemeines Verbot über die größte antifaschistische Jugendorganisation, die „Freie Deutsche Jugend (FDJ)“ aus. Wir haben darüber mit Herbert Mies gesprochen, der die FDJ in Westdeutschland in der Illegalität leitete.

POSITION: Du hast deine Kindheit unter der faschistischen Diktatur erlebt. Danach hat dich dein Weg direkt zu den Kommunisten geführt. Wie kam das, wo Du doch sicher alltäglich der Hitler-Propaganda ausgesetzt warst?

Herbert Mies: Naja, ich war ja nicht nur der faschistischen Propaganda ausgesetzt. In meinem kommunistischen Elternhaus wurde ich zu selbstständigem humanistischen Denken erzogen. Ich lernte den Krieg mit seinen Opfern und Zerstörungen hassen und begann ihn im Kopf zu bekämpfen. Damals wollte ich Lehrer werden, doch die Nazis verhinderten das. Da ich mich nicht nicht freiwillig als Offizier beworben habe, haben sie mich für „unwürdig“ eingestuft deutscher Lehrer zu werden – ich musste das Seminar verlassen.

Bei uns in Mannheim gab es die Lechleitner-Widerstandsgruppe, sie waren aktiv gegen Hitler und die nazistische Terrorherrschaft. 1942 und 1943 wurden 19 Mitglieder von ihnen auf dem Schafott ermordet. Mit ihrem Mut zum Widerstand sind sie Vorbild für mich geworden. Denn sie haben mir gezeigt, dass Gegenwehr auch in dunkelster Zeit möglich ist. Das hat mir auch mein Vater immer wieder bewusst gemacht. Überhaupt hat die kämpferische Ausstrahlung von kommunistischen Persönlichkeiten mich stark geprägt. Im Juni 1945 habe ich mich dann in Mannheim-Schönau als Gründungsmitglied der kommunistischen Ortsgruppe angeschlossen. Dort war ich dann für die Jugendarbeit zuständig. Der Zulauf von Jugendlichen direkt nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus war nicht überwältigend, aber immerhin beachtlich!

Bei der Befreiung 1945 waren Gewerkschaften und die fortschrittlichen Organisationen nicht mehr existent. Doch für viele galt „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“. Wie können wir uns die Entstehung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) vorstellen?

Herbert: Ja das war die Losung von Sozialdemokraten, Antifaschisten und einem beachtlichen Teil der Jugend. Die jungen Emigranten, die 1945/46 aus dem antifaschistischen Exil nach Deutschland zurück kehrten wie auch die jungen Antifaschisten, die aus den Konzentrationslagern kamen, sie alle brachten die Devise mit: Kein kommunistischer Jugendverband, sondern eine breite antifaschistische Freie Deutsche Jugend. Und so bildeten sich überall verschiedene Jugendgruppen, mal als kommunistische oder sozialistische, mal als Freie Jugend oder auch Freie Deutsche Jugend. Die erste „Freie Jugend“ entstand in Bremen, im Dezember 1945 wurde in der britischen Besatzungszone ein Landesverband gegründet. Weit komplizierter war es in der amerikanischen und französischen Besatzungszone. So sahen die Gruppen überall anders aus. Wir wollten uns damit aber nicht abfinden und traten überall für die einheitliche, gemeinsame, antifaschistische Jugendorganisation ein.

Die FDJ stand gegen Faschismus und Militarismus, gegen Monopolmacht und für die sozialen Rechte von Kindern und Jugendlichen. Das muss doch so kurz nach dem Faschismus begrüßt worden sein – doch ihr wurdet staatlicher Repression ausgesetzt.

Herbert: Der Großteil der Jugendlichen hatte die Wirkungen des Faschismus noch nicht bewältigt. Doch nicht wenige der antifaschistisch-demokratisch Denkenden orientierte sich an uns Kommunisten. Es deutete sich an, dass die FDJ eine der stärksten Jugendorganisationen werden würde. Doch in den Westzonen ging der Zuwachs alles andere als rasant vor sich. Die schnelle Herausbildung einer sozialdemokratischen Jugendbewegung, die große Zurückhaltung der kirchlichen Institutionen gegen eine einheitliche Jugendorganisation und die Haltung der Besatzungsmächte machten die Hoffnung auf eine zentrale Massenorganisation der Jugend zunichte. Auch der Druck der Parteien tat sein übriges. Unvergessen bleibt mir das Teufelswort von Kurt Schumacher, dem westdeutschen SPD-Vorsitzenden, der meinte wir Kommunisten seien nur „rotlackierte Nazis“. Und so gab es immer wieder Verweigerungen unserer Zulassung, wurden Publikationen von uns verboten und unsere Aktionen schikanös behindert. 1951 dann waren die Drangsalierungen gegen uns westdeutsche FDJ‘ler sehr hoch. Dennoch: Unsere FDJ war Anfang der 50er-Jahre ein Jugendverband der Aktion, von politischer Bedeutung und Wirkung. Wir wurden zu einer starken, öffentlich beachteten Kraft gegen die Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse.

Herbert Mies (links)
1952 wurde das FDJ-Mitglied Philipp Müller beim Demonstrieren erschossen. 1953 wurde der damalige FDJ-Vorsitzende Jupp Angenfort wegen „Hochverrat“ ins Zuchthaus gesteckt. Ab dann leitetest Du die FDJ in Westdeutschland. 1956 folge das komplette Verbot.

Herbert: So war es, der erste Kampftote der FDJ! Und die erste Einkerkerung in ein Zuchthaus – das waren schmerzhafte, harte, politische und psychologische Schläge gegen unseren Verband. Doch wir mussten das verkraften. Ich musste dann die Führung des Verbandes übernehmen, das war wahrlich keine leichte Aufgabe. Doch mithilfe eines starken Kollektivs meisterten wir das. Ich würde heute als Lebenslehre mitnehmen: Mit starken Kollektiven kann man Bäume versetzen und auch der Gewalt und Macht eines Adenauer-Regimes widerstehen. Und in diese Zeit fällt ja auch die Kommunisten-Jagd in Westdeutschland nach dem US-amerikanischen Vorbild McCarthy. Und wir in Westdeutschland organisierten auch Solidarität, z.B. mit den Rosenbergs. Die waren ein Ehepaar in den USA, denen man Spionage für die Sowjetunion vorgeworfen hat. Sie wurden hingerichtet!

Dem Verbot der FDJ folgte dann das Verbot der Kommunistischen Partei in der Bundesrepublik. Doch viele GenossInnen machten trotzdem weiter. Arbeitete dann jeder für sich selbst oder wie konntet ihr Euch in der Illegalität weiter organisieren?

Herbert: Das gleichzeitige Verbot eines Jugendverbandes und der sie unterstützenden Partei schuf eine besonders schwierige Situation. Welcher verbotenen Organisation sollte man seine unteilbare Kraft geben? Vor dieser Frage stand jeder von uns. Doch keiner brauchte auf sich selbst gestellt zu arbeiten, denn bei aller Eigeninitiative und individueller Arbeit hatten wir ja immer unsere Genossinnen und Genossen im Rücken. Das animierte zur Selbsttätigkeit, die ja eben zu den Fähigkeiten eines Kommunisten gehört.
Einige ältere Genossinnen und Genossen, die die Erfahrungen aus der Zeit des Faschismus hatten, lehrten uns entsprechend dem Grundsatz zu arbeiten: „Illegalisierung, das heißt so wenig Konspiration wie notwendig und so viel legale Arbeit und Organisation wie möglich!“. Mit dieser Maxime sind wir in der Praxis sehr gut gefahren. 1968 dann, als die Neukonstituierung einer legalen, kommunistischen Partei auf der Tagesordnung stand, wurde das besonders sichtbar. Junge Gewerkschafter, Aktivisten in den verschiedenen, legalen Jugendorganisationen, alles was wir in der Zeit der Illegalität geworden waren, setzten wir jetzt ein. Und so konnten wir im Jahr 1968 einen neuen Jugendverband und eine neue Kommunistische Partei gründen. Das gehört zu den historischen Verdiensten dieser Genossinnen und Genossen.

Kurz nachdem sich die SDAJ gegründet hat, kam es auch zur Konstituierung der DKP, deren Vorsitzender Du später wurdest. War damit die Illegalität und Repression gegen die fortschrittlichen Bewegungen und speziell die Kommunisten vorbei?

Herbert: Die Kommunisten-Verfolgung ist seit dem Adenauer-Regime Staatsdoktrin, zum Lex-Kommunisten, also zum umfassenden Gesetz des Antikommunismus geworden. Das KPD-Verbotsurteil ist zu einer Art Ewigkeitsgesetz erhoben worden. Es verbietet ja jegliche Fortsetzung von KPD-Tätigkeiten. Während also die Illegalität der KPD geblieben ist, wurde die Konstituierung der DKP erkämpft. Doch die Repressionen gegen fortschrittliche Bewegungen und speziell gegen die Kommunisten sind geblieben, auch die Berufsverbote blieben in Kraft. Solange die FDJ- und KPD-Verbotsurteile nicht aufgehoben werden, sind die Repressionen nicht vorbei. Denn wir dürfen nicht vergessen: Wir Kommunisten haben in einem Land wie der Bundesrepublik nur so viele Freiheiten wie wir sie uns tagtäglich nehmen und erkämpfen!

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