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Lenin lesen: Wer vom
Imperialismus spricht, sollte das Monopolkapital nicht vergessen. Gespräch mit
Lena Kreymann
Bevor am
Wochenende der Revolutionäre Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Wladimir Lenin
gedacht wird, wollen wir über die Aktualität von deren Werk sprechen. In Ihrer
Organisation, der SDAJ, wird zum Beispiel noch heute Lenins 1917 erschienene
Schrift »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« studiert.
Warum?
Das
Werk hat mindestens zwei, vermutlich aber mehr ganz große Stärken. Die
grundlegende Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse stimmt nach wie vor.
Man kann aus der Schrift aber auch viel darüber lernen, wie man an politische
Arbeit herangehen sollte. Denn was tut Lenin? 1916, der erste Weltkrieg tobt,
und die Lage spitzt sich in allen Ländern unglaublich zu, schreibt er dieses
Buch – und wälzt dafür Statistiken. Er nimmt sich eine Unmenge an Daten vor.
Das tut er nicht, weil er sich von der politischen Praxis entfernt hätte. Im
Gegenteil: Er betrachtet die Situation genau, macht langfristige
Entwicklungstendenzen aus und schlussfolgert, wie die revolutionäre Arbeit
aussehen muss. Auch wir müssen so an die Überwindung des Kapitalismus
herangehen.
Die
falschen Auffassungen, die er kritisiert, verleiten zur Schlussfolgerung, man
müsse einfach die Politikerriege austauschen. Zumal die bürgerliche Geschichtsschreibung
auch vom Imperialismus spricht, damit aber nur eine bestimmte, schon beendete
Epoche meint. Lenins Imperialismusbegriff ist dagegen sicher nicht
vorherrschend. Die Analyse des Monopols, also riesiger marktbeherrschender
Unternehmen, ist einer der zentralen Aspekte des Buchs. Lenin leitet aus seiner
Untersuchung ab, dass sich die kommunistische Politik vor allem gegen die
Herrschaft des Monopolkapitals wenden muss. Die Richtigkeit unserer Analyse
müssen wir selbst beweisen und zwar nicht auf rein theoretischem Weg, sondern
in den täglichen Auseinandersetzungen um bessere Löhne und Bildung oder gegen
Krieg. Dafür gibt es Anknüpfungspunkte: Etwa wenn wir aufzeigen, dass
Auslandseinsätze, also Kriege, im Interesse großer Konzerne stattfinden – und
zwar selbst dann, wenn wie in Deutschland die große Mehrheit der Bevölkerung
gegen sie ist.
Gerade
das ist doch nicht so leicht. Welcher deutsche Konzern profitiert etwa von der
Besatzung Afghanistans?
Diese
Frage ist mit Sicherheit eine Herausforderung, denn oft stehen längerfristige
Interessen dahinter, etwa geostrategische. Die Aufgabe besteht beispielsweise
darin, zu schauen, welche Unternehmen die Aufträge erhalten, wenn
zynischerweise vom »Wiederaufbau Afghanistans« gesprochen wird. Es dürften in
der Regel keine afghanischen, sondern westliche Unternehmen sein. Das genauer
aufzuzeigen, wäre notwendig – und unter anderem auch Aufgabe der jungen Welt.
Touché.
Ist es nicht deprimierend, heute noch dieses Werk von Lenin lesen zu müssen?
Den Imperialismus beschrieb er vor 100 Jahren als Ȇbergangskapitalismus oder,
richtiger, als sterbenden Kapitalismus«.
Der
Kapitalismus hat seinen vorwärtstreibenden Charakter verloren, den Marx und
Engels im Manifest noch ausmachten. Mit der Herausbildung der Monopole werden
bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Wirtschaft grundsätzlich
anders zu gestalten und gesamtgesellschaftlich zu planen. Der Bourgeois als
»gerissener Unternehmer« macht sich zunehmend selbst überflüssig, denn die
Verwaltung der Konzerne mit ihren immer größeren Produktionseinheiten wird
bereits von Angestellten geleistet. Das brachte Lenin dazu, vom Vorabend des
Sozialismus zu sprechen. Doch wie lange dieses Sterben genau dauern wird, kann
niemand sagen. Es ist auch kein Automatismus, denn den Kampf um die Abschaffung
des Kapitalismus müssen wir selber führen.
Wird
nicht vor allem die Entwicklung von schädlichem Unsinn vorangetrieben? Handscanner
etwa, die Amazon einsetzt, um die Belegschaft völlig zu überwachen, wird man
künftig hoffentlich nicht mehr nutzen.
Das
stimmt zum Teil, denn entwickelt wird nach Maßgabe des Profits, nicht der
menschlichen Bedürfnisse. Das reicht von Druckern, die zu schnell kaputtgehen,
bis hin zur Entwicklung immer neuer Schnellfeuerwaffen. Doch die wesentliche
Frage bleibt, in wessen Hand die Technik liegt und wie sie dann gebraucht wird.
Dem Kapital muss sie jedenfalls entrissen werden.
Das Interview führte Johannes
Supe
aus „junge Welt“ vom 12.01.2018
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