Dienstag, 2. Februar 2016

Mit allen, die es ehrlich meinen

Antifaschismus darf nicht die Sache einer Szene bleiben. Um wirksam zu werden, muss der Kampf gegen rechts breitere Massen ansprechen. Gelingen kann das, wenn man für die Interessen der Arbeitenden streitet

Pegida auf den Straßen, AfD in den Talkshows, brennende Flüchtlingsheime und Badeverbot für Ausländer. Droht uns heute in Deutschland der Faschismus? Das Lebensinteresse der großen Mehrheit in dieser Gesellschaft spricht dagegen. Wer lernt, arbeitet oder studiert, hat zumeist kein Interesse an einer Terrorherrschaft, dessen Opfer man selber werden würde, genauso wenig haben das Erwerbslose. Doch sogar denen die nicht arbeiten müssen, weil sie ausreichend Kapital besitzen, kann nicht einfach unterstellt werden, nach dem Faschismus zu streben. Bislang konnte sich das Kapital in der Bundesrepublik noch stets auf die parlamentarische Demokratie verlassen. Sie integriert die Menschen nach wie vor relativ erfolgreich in das bestehende System und sorgt damit für die Stabilität der Verhältnisse.

Unabwendbar ist der Faschismus also nicht. Weder wird er unvermeidlich zur Herrschaftsform, noch steht fest, dass es auf alle Zeit eine faschistische Bewegung im Kapitalismus gibt. In bestimmten Situationen bietet sich der Faschismus den Herrschenden jedoch an. Zum Beispiel in Zeiten, in denen die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Machtverhältnisse gefährdet ist. Denn der Faschismus gibt dem Kapital die Chance, seine Interessen auf ungemein aggressive Art durchzusetzen. Zum Faschismus forschte auch der westdeutsche Wissenschaftler Reinhard Opitz. Er beschrieb drei Bedingungen, die – so sie zeitgleich zusammenkommen – einen Machtantritt der Faschisten wahrscheinlich machen. Aus einem krisengeschüttelten Kapitalismus wird dann eine Terrorherrschaft. Opitz’ Bedingungen sind:

1. Relevante Teile des Monopolkapitals – also die markt-­ und produktionsbeherrschenden Banken und Konzerne in Industrie, Handel und der Finanzwirtschaft – sehen die Durchsetzung ihrer aktuellen oder anstehenden Interessen nicht mehr innerhalb einer parlamentarischen Republik gewährleistet.

Und 2. Die antifaschistischen Kräfte sind nicht stark genug, das Monopolkapital vom Übergang zum Faschismus abzuhalten. Das kann wiederum mehrere Gründe haben. Etwa den, dass es keine Bereitschaft zu einheitlichem Handeln gibt.

Und 3. Die zum Faschismus drängenden Teile des Monopolkapitals haben hinter sich eine starke Massenorganisation geschart und/oder eine breite Basis im staatlichen Repressions- und Militärapparat, die zur Errichtung der Diktatur bereit ist.

Der Faschismus ist eine Herrschaftsoption für das Kapital. Ob sie genutzt wird, hängt – wie eben beschrieben – von verschiedenen Faktoren ab, die ineinander greifen müssen. Einen Automatismus, der von einer Wirtschaftskrise in den Faschismus führt, gibt es hingegen nicht. Man muss also genauer hinschauen: Wie sieht es heute in der BRD aus?

Regelmäßige gibt es Pegida-Aufmärsche, in manchen Städten gründen sich nach Köln selbsternannte Bürgerwehren. Deren Beständigkeit wird sich noch zeigen. Doch die oben genannten Bedingungen werden aktuell nicht erfüllt. Trotzdem gibt es eine permanente Gefahr, allein durch faschistische und rechte Bewegungen. Die reaktionärere und offenere Durchsetzung der Kapitalinteressen, also eine Faschisierung, ist zudem ständig eine Option, allerdings bislang innerhalb der Grenzen dieses Staates. Dabei ist es möglich und notwendig, die Entwicklung zu beeinflussen.

Faschistische Bewegung

Es mangelt in der Bundesrepublik nicht an Faschisten und Rechten, ebenso wenig an entsprechenden Gruppierungen. Unter den Parteien existiert neben der NPD nun die AfD, die sich mittlerweile als parlamentarischer Arm der Pegida-Bewegung versteht. Außerdem sind nationalistische Gruppierungen im militanten Bereich bis hin zum ganzen NSU-Umfeld nicht ungefährlicher geworden. Denn schließlich gibt es nicht nur die ausländerfeindliche Rhetorik der Politik, sondern es brennen Flüchtlingsheime und Migranten werden überfallen.

Welche Funktion kommt nun aber der faschistischen Bewegung heute unter bürgerlich-demokratischen Bedingungen zu? Vor allem fungiert sie als Alibi, um eine reaktionäre Politik durchzusetzen, für deren Verwirklichung sie einen scheinbaren Anlass schaft. Wie das in der Bundesrepublik funktioniert, wissen wir spätestens seit Beginn der 1990er Jahre. In den bürgerlichen Medien wurde damals eine Pogromstimmung gegen Flüchtlinge geschürt. Schließlich brannten die ersten Asylbewerberunterkünfte, so in Hoyerswerda 1991. An den Anschlägen beteiligten sich Faschisten. Die Politik gab sich betroffen und schickte sich an, das umzusetzen, was sie selbst als »Volkswillen« in Gang gesetzt hatte: 1993 wurde das Grundrecht auf Asyl vom Bundestag derart stark eingeschränkt, dass es de facto aufgehoben wurde. Vergleichbar lief auch die aktuelle Verschärfung des letzten Rests an Asylrecht durch SPD und Union ab.

Auch in anderen Belangen fungieren die Faschisten als Antreiber, etwa beim reaktionären Umbau des Staates. So ist die alte NPD-Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe zu verstehen (meistens geht es gegen »Kinderschänder«). Aber auch die aktuelle AfD-Forderung nach gezieltem Waffengebrauch gegen Flüchtlinge an der Grenze. Dem Umgang der Bevölkerung mit diesen Bewegungen kommt eine Barometerfunktion zu. Ob den Rechten entschlossen entgegengetreten wird oder nicht, lässt einschätzen, ob sich die Massen auch gegen ihr eigenes Interesse auf die Straße bringen lassen.

Eine andere Funktion faschistischer Gruppen ist ihr Drohpotential. Opitz spricht in bezug auf sogenannte Wehrsportgruppen von einer terroristischen Einschüchterung. Das trifft auch heute zu, etwa auf nationalistische Gruppierungen im militanten Bereich. Sie nehmen eine Hilfspolizei-Funktion ein, bauen Bürgerwehren auf (schon lange vor der Kölner Silvesternacht), kontrollieren ganze (sogenannte »national-befreite«) Zonen. Das macht Angst. Manche Menschen scheuen deshalb vor politischer Tätigkeit zurück. Bei anderen entsteht der Eindruck, »mehr Sicherheit« sei tatsächlich notwendig. Das legitimiert den Ausbau des Polizei- und Überwachungsapparats.

Mehr Polizisten – auch die Erfahrung hat die Arbeiterklasse in diesem Land schon machen müssen – lassen sich auch gegen Streiks einsetzen. Mehr Polizisten wurden auch zur Stürmung des besetzten Hauses in Berlins Rigaer Straße eingesetzt, während zum Schutz der Flüchtlingsunterkünfte keine Kapazitäten dazusein scheinen. Faschistischer Terror kann den Herrschenden also »nützlich« sein. Offenbar Grund genug, ihn zu päppeln: In den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) ist der deutsche Staat über seine Geheimdienste und ihre V-Leute-Struktur verwickelt. Wie stark die Gewalt eskaliert – ob sie auch über die Mordserie des NSU hinausgehen wird – ist dabei eine Frage des Kräfteverhältnisses.

Doch die faschistische Bewegung setzt nicht nur auf den Terror. Ergänzend kommt immer die soziale Demagogie hinzu. Statt des Klassenkampfes propagiert sie eine Klassenneutralität (»Volksgemeinschaft«). Nicht der Chef, der Banker, ein Vertreter der herrschenden Klasse ist demnach schuld an schlechten Arbeitsbedingungen, Sozialabbau und Stellenverlust, sondern der Fremde, der »Asylant«, der »Sozialschmarotzer«. Es geht um die Spaltung der Arbeiterklasse und der nichtmonopolistischen Schichten. Damit haben die faschistischen Bewegungen eine »Auffangfunktion«. Sie sorgen dafür, dass sich Proteste nicht gegen die Herrschenden richten. Es wird somit verhindert, dass die Teile einer Gesellschaft, für die sich keine Integrationsoption ergibt, sich wirklich gegen die Zustände und damit gegen die Herrschenden wehren. Bewusstsein über die eigene Lage und die Verhältnisse kann so nicht entstehen. Im Gegenteil: Getroffen werden am Ende Randgruppen – und letztlich auch die Arbeiterklasse selbst.

Trotz der bei allen feststellbaren Funktionen treten die Gruppen jeweils wie das Fähnchen im Wind auf. Es ist verkürzt, den Faschismus an der Macht und die faschistische Bewegung nur aus einem radikal gewordenen Patriotismus zu erklären, nur weil das manche Faschisten von sich selber sagen. Die dargestellten Funktionen stehen zueinander teilweise im Widerspruch, wie die terroristische und die integrierende. Das lässt sich daraus erklären, dass es den Faschisten um verschiedene Teile der Bevölkerung geht: perspektivlose Jugendliche und enttäuschte Mittelschichtler etwa.

»Quer durch Klassen und Schichten«

Das Treiben der Faschisten müssen wir unterbinden. Gelingen kann das aber nur, wenn sich möglichst viele Menschen am Kampf gegen die Rechten beteiligen. Darauf muss eine antifaschistische Strategie abzielen. Der Faschismus vertritt ein Klasseninteresse, nämlich das der aggressivsten Teile des Monopolkapitals. Entschlossener Antifaschismus muss sich also gegen dieses Interesse stellen. Das bedeutet, nicht nur einzelne Personen – seien das auch die bekanntesten Köpfe des Faschismus – zu bekämpfen. Außerdem bedeutet es, dass es neben der Arbeiterklasse noch weitere gesellschaftliche Gruppen gibt, die sich in Gegnerschaft zu diesen Interessen sehen. Eben darum können wir uns unsere Partner nicht bequem aussuchen, sondern müssen die Klassenauseinandersetzung darauf zuspitzen, dem Faschismus eine Massenbasis unmöglich zu machen.

Darum schrieb der Historiker und Antifaschist Gossweiler ausführlicher über den Charakter dieses Kampfes. Der müsse »quer durch Klassen und Schichten« gehen. »Verschiedenartigste politische Richtungen« müssten durch das gemeinsame Ziel eingebunden werden. Gossweiler knüpft dabei an die Erkenntnisse der Kommunistischen Internationale an. Die hatte spätestens 1935 auf ihrem VII. Weltkongress Lehren für ihre Bündnispolitik gezogen.

Das antifaschistische Bündnis ist ein Zusammenwirken verschiedenster Kräfte, das es aktiv zu organisieren gilt. »Die Massen muss man so nehmen, wie sie sind, und nicht so, wie wir sie uns wünschen. Ihre Zweifel und Schwankungen werden sie einzig und allein im Laufe des Kampfes überwinden.« So Georgi Dimitroff, der das Hauptreferat auf dem Kongress hielt. Auch für heute sind diese Orientierungen hilfreich. Denn darin steckt eine Absage, Antifa ausschließlich als eine jugendliche, subkulturelle Szene zu verstehen. Auch eine parteipolitische Isolation ist nicht drin – im Gegenteil: »Zusammen gegen den gemeinsamen Gegner« muss das Motto sein.

Zur Zeit wird viel über die Szene- und Feuerwehrpolitik der heutigen antifaschistischen Gruppen gesprochen, dabei wird auch viel Kritik geäußert. Wenn wir aber davon weg wollen, dann gibt es nur eines: sich ein Verständnis erarbeiten vom Monopolkapital und den antimonopolistischen Teilen der Gesellschaft. Dazu gehört sicher auch der ein oder andere Spießer. Es gilt, alle zusammenzuführen, die objektiv im Widerspruch zur Klassenbasis des Faschismus stehen.

Nicht selten folgt an dieser Stelle der Einwand, damit würde man sich um jeden Preis an die bürgerlichen Politiker »ranzuwerfen«. Richtig ist zwar, dass Anbiederung an solche Kräfte nicht Ziel sein kann. An einer Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie kommt man aber zunächst nicht vorbei. Ja, die SPD ist eine tragende Stütze des Kapitalismus, die Liste ihrer arbeiterfeindlichen Beschlüsse würde einige Bände füllen. Trotzdem folgen ihr noch immer viele Menschen, die zu den nichtmonopolistischen Schichten gehören. Auf sie nicht zuzugehen wäre falsch. Übrigens genauso falsch wie die Vorstellung, die SPD würde sich schon von allein »entlarven«. Die Politik der SPD entsteht ja nicht aus böser Absicht. Sie ist das Produkt des Imperialismus – dessen Auswirkungen bis in die Arbeiterklasse reichen. Solange er bestehen bleibt, wird man sich in der einen oder anderen Form auch mit der Sozialdemokratie herumzuschlagen haben. Wie man das tut – nämlich idealerweise aufklärend, immer auf die Interessen der Arbeiter insistierend – ist eine andere Frage.

Andererseits gibt es Bündnisse, die wir für fraglich halten. In München arbeiten einige Jugendorganisationen in Fragen der Flüchtlingshilfe mit der Jungen Union (JU) zusammen. Ziel dieses Bündnisses ist es, »die Lebensbedingungen für Geflüchtete zu verbessern«. Doch die JU in München fordert auf ihrer Homepage mehr Abschiebungen und Obergrenzen für Schutzsuchende. Das besagte Bündnis ist im Zuge der Freiwilligenhilfe am Münchner Hauptbahnhof gewachsen. Diese wurde von der regierenden CSU nicht staatlich organisiert. Und nun darf die Junge Union in einem Flüchtlingsbündnis mitarbeiten, ohne dass sie die oben genannten Positionen aufgibt. Den Konservativen dürfte das als Feigenblatt dienen, der Sache der Geflüchteten ist es wohl kaum dienlich.

Und wenn Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) mittlerweile der Meinung ist, dass »wir zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer jetzt auch geeignete Bundeswehr-Schiffe einsetzen« sollten, dürfte das eher dem Militarismus als dem Schutz für Geflüchtete das Wort reden. Gesagt hat er das im vergangenen Juni gegenüber dem Internetportal der Rheinischen Post. Einen Winterabschiebestopp soll es im von ihm regierten Thüringen überdies nicht mehr geben. Auch andere Linke-Politiker spielen eine ungute Rolle. Oskar Lafontaine fordert etwa Obergrenzen für Asylsuchende; Sahra Wagenknecht (beide Die Linke) meint, wer »Gastrecht« missbrauche, habe es verwirkt. Gerade die beiden letztgenannten betreiben mit ihren Aussagen, ob gewollt oder ungewollt, eine Anbiederung an bürgerliche Positionen. Vermutlich in der – falschen – Hoffnung auf ein Bündnis, mindestens aber, um in der Wählergunst aufzusteigen.

Den Rechten graben sie damit nicht das Wasser ab, die AfD förden sie sogar noch. Wir müssen uns statt dessen weiterhin der Interessenfrage und der Herausforderung stellen, einen interessengeleiteten Antifaschismus zu praktizieren. Das wäre einer, der sich von den Interessen der Lohnabhängigen, der Schüler, Azubis und Studenten, der Erwerbslosen, Kranken und Rentner leiten läßt. Den muss man auch gegen Widerstände durchhalten.

Aber manche bedauern es ja schon, wenn man zusammen mit Bürgerlichen auf der Straße steht, um Angriffe auf ein Flüchtlingsheim zu verhindern. Marcus Staiger etwa, wie er vor einiger Zeit auf diesen Seiten ausführte (siehe jW vom 11. Juli 2015). Wir sehen das anders. Natürlich setzen wir in der Mobilisierung zuerst auf Arbeiterjugendliche. Die wollen wir für ihre Interessen und aus Klassensolidarität auf die Straße bringen. Wir bevorzugen auch gewisse Aktionsformen (etwa Massenblockaden), lehnen gewisse Ansichten ab (die unsägliche »Extremismustheorie«). Dass die Anwesenheit der verlogenen Vorstände der bürgerlichen Parteien dann heuchlerisch ist, das zweifeln wir nicht an. Doch wer es ehrlich meint, dem sollte man nicht den Rücken kehren. Auch dann nicht, wenn er nicht bei jeder Aktion mitgeht. Hier beginnt das Bündnis, von dem wir oben sprachen, hier beginnt im Zweifel auch klassenorientierte Politik.

Interessengeleiteter Antifaschismus

Bislang gibt es hingegen oft seitenlange Belehrungen. In den Worten ist man dabei ziemlich radikal – in den Betrieben und Schulen aber leider nicht präsent. An der Interessenfrage setzt das meist nicht an. Bedient wird statt dessen, worüber man jetzt schimpft: eine gewisse Szene. Dazu passt auch, dass manche den Faschismus als »deutschen Mob« verstehen – und dabei die Arbeiterklasse im Hinterkopf haben. Da trifft sich dann die neoliberale Ideologie sogenannter Antideutscher (»Nationalismus als deutsches Wesen«) mit der bürgerlichen Vorstellung des »dummen Neonazis«. Letztere trifft man nicht selten in den klassischen »Bunt statt Braun«-Bündnissen an. Aber es muss ja nicht so laufen. Es gilt hingegen Forderungen aufzustellen, die für alle Lohnabhängigen nachvollziehbar sind, weil sie an realen Bedürfnissen anknüpfen. Die Herausforderung ist es, dass diese Forderungen weder von in das System integrierender Politik vereinnahmt, noch von sozialdemagogischen Neonazis genutzt werden kann.

Wie stark solidarischer Zusammenhalt sein kann, müssen wir durch praktisches Erleben erfahrbar machen – durch gemeinsame Kämpfe. Dabei zeigen wir sowohl, dass Veränderungen erstreitbar sind, als auch, dass es Grenzen dieser Veränderbarkeit innerhalb der kapitalistischen Logik gibt. Ein konsequenter Antifaschismus wird denn auch konsequente Antifaschisten hervorbringen und auch gesellschaftliche Veränderungen in den Blick nehmen. Wie steht es denn mit einer Mindestvergütung von 1.200 Euro netto für Azubis? Und was ist mit Selektion und Leistungsdruck im Schulwesen? Der Antifaschismus, für den wir stehen, umfasst auch solche Fragen. Denn er zeigt immer wieder: Die Faschisten wollen das nicht, sie wollen nichts von dem, was dir nützen würde. Und was sie heute an Verschlechterungen für Migranten oder Asylsuchende fordern, das soll morgen auch für dich und mich gelten. Wir brauchen deswegen Solidarität aufgrund unserer gemeinsamen ureigensten Lebensinteressen. Genau diese Erkenntnis wird dabei laufend durch die Konkurrenz im Kapitalismus untergraben.

Denn die ganze rassistische Ideologie wird den Arbeitern ja nicht einfach eingetrichtert, so als würden eine handvoll schlimmer Propagandisten reichen, um Rassisten heranzuziehen. Vielmehr drängt sie sich den Beschäftigten jeden Tag auf: Im Betrieb und auf der Arbeitssuche herrschen Konkurrenz und Ausdifferenzierung zwischen den Arbeitern. Erst das begünstigt den Rassismus.

Hier sei der ver.di-Aktionstag für mehr Krankenhauspersonal vor ein paar Monaten als Beispiel genannt. An diesem Tag standen Kolleginnen und Kollegen mit und ohne Migrationshintergrund solidarisch für mehr Stellen und damit für bessere Arbeitsbedingungen ein. In Essen versuchte sich das Klinikmanagement anzubiedern und beteiligte sich am Aktionstag. Es dankte ver.di für die Aktion. Dabei erwähnte es, dass das Einstellen von Menschen aus Spanien nicht notwendig wäre, wenn genug Geld für die deutschen Fachkräfte da wäre. Hier wird, bewusst oder unbewusst, versucht, den Kolleginnen und Kollegen weißzumachen, dass ihre hohen Löhne dann doch irgendwie schuld seien an der Personalmisere und sie außerdem aufpassen sollten, dass die Ausländer ihnen nicht die Arbeitsplätze klauen.

Und eben hier müssen wir reingrätschen, wenn wir auch das antifaschistische Bündnis als eine Praktik im Klassenkampf verstehen – die eben nicht davon abhängig ist, ob »ein Neonazi« vor mir steht. Etwas überspitzt: Der Kollege mit CDU-Parteibuch und die unpolitischste Gewerkschafterin sollen mitmachen, aber es muss darum gehen, sie zu überzeugen, dass Faschismus nicht nur einfach unmoralisch und dumm ist, sondern ihnen selbst schadet, ihren »Arbeitgebern« nützt und die Leitungen ihrer Organisationen den Faschisten mitunter in die Hände spielen beziehungsweise nicht konsequent entgegentreten. Hier unterscheidet sich unser Vorgehen fundamental von einer »Minderheitenpolitik«, wie sie viele bürgerliche Verbände und Kleingruppen der autonomen Antifa betreiben und mit bürgerlich-moralischer Argumentation unterlegen.

In Aktionen gegen Krise, Krieg und Faschismus wird sich zeigen, wer es ernst meint. Das bedeutet für uns: Wir müssen Antikapitalismus »erfahrbar« machen. Solidarität statt Ellenbogenmentalität, ansprechende Aktionsformen und nicht auf die Regierung warten, sondern selber tun. So ein Antifaschismus ist mehrheitsfähig, so muss er praktiziert werden.

Bisweilen ist das schon passiert. Davon zeugt etwa das Münchner Jugendbündnis. In ihm haben sich die Jugend des DGB, die ver.di- sowie die migrantische DIDF-Jugend und die SDAJ zusammengetan. Im Vorfeld der EU-Parlamentswahlen 2014 setzte man sich mit den Aussagen von NPD, Republikanern und AfD auseinander – und zerpflückte die anhand ihres asozialen Gehalts in einem einfachen Text. Nicht viel, aber ein Anfang.

In Kiel wurde, ebenfalls vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, eine Aufklärungsveranstaltung über die AfD organisiert. »Gegen eine Politik, die letztlich nur der Wahrung von Wirtschaftsinteressen dient, können wir uns nur gemeinsam wehren. Die Spaltung der Arbeiter und Arbeiterinnen und Angestellten in deutsch, nichtdeutsch, arbeitslos etc. schwächt uns in der Auseinandersetzung für unsere Rechte«, hieß es im Ankündigungstext. Ausgerichtet wurde der Abend vom Kieler Jugendbündnis gegen rechts. Mit dabei: die linke Gruppe Avanti, die DGB-Jugend, die Jugend der IG Metall sowie die der Grünen und der Linken, die Jusos sowie die SDAJ.

Auf einer Bochumer Flüchtlingsdemo vor kurzem waren keine Fahnen derjenigen Parteien erlaubt, die die Asylrechtsverschärfungen mitgetragen haben. Bei den Jugendorganisationen jedoch schon, wenn klar war, dass sie sich gegen diese Linie stellen, es also ehrlich meinen. Vor allem aber wurde das Bündnis mit gesellschaftlichen Gruppen gesucht. So hat sich der Mieterverein dann zur Wohnsituation geäußert. Diese thematische Verknüpfung gab es auch in anderen Städten. In Kassel zum Beispiel hat sich sogar ein eigenes Bündnis unter dem Titel »für dezentrales Wohnen für Geflüchtete und sozialen Wohnungsbau« gegründet und eine Demonstration organisiert.

Wer den Faschismus bekämpfen will, wird zunächst schauen müssen, wem er nützt. Erst dann lässt sich eine Strategie bestimmen, die ihn trifft. Wie sie aussehen könnte, haben wir hier versucht darzustellen. Es geht um ein Bündnis, das denjenigen nur wenige Bedingungen stellt, die mitmachen wollen. Vor längerer Zeit haben wir in der Zeitschrift Theorie und Praxis drei Kriterien für dessen Bildung zur Diskussion gestellt:

1. Antifaschistische Bündnisarbeit muss darauf abzielen, Massenwirksamkeit zu entfalten. Das heißt, sie muss über eine Szene bereits politisierter Jugendlicher hinaus wirken, also zwar an moralischer Ablehnung von Rassismus anknüpfen, aber nicht dabei stehenbleiben.

2. Sie muss die soziale Demagogie des Faschismus widerlegen und den Klassenstandpunkt der Faschisten entlarven.

3. Sie muss an den unmittelbaren Klasseninteressen der Jugendlichen in Schule, Uni und Betrieb anknüpfen, aus diesen einen antifaschistischen Standpunkt herleiten und beides in der Praxis gemeinsamer Auseinandersetzungen für soziale und demokratische Forderungen erfahrbar machen.

Heute möchten wir ein viertes Kriterium ergänzen. Zusammen sind sie die Bedingungen für eine effektive und beständige antifaschistische Bewegung, unabhängig von der Organisation der verschiedenen Mitstreiter:

4. Antifaschistische Bündnisarbeit muss bedeuten, die Zusammenarbeit mit allen zu suchen, die bereit sind, sich auf Grundlage der gemeinsamen objektiven Interessen gegen Faschismus, Rassismus, Krieg und Krise zu stellen.

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