Vor 60 Jahren sprach die westdeutsche Regierung
unter Kanzler Adenauer ein allgemeines Verbot über die größte antifaschistische
Jugendorganisation, die „Freie Deutsche Jugend (FDJ)“ aus. Wir haben darüber
mit Herbert Mies gesprochen, der die FDJ in Westdeutschland in der Illegalität
leitete.
POSITION:
Du hast deine Kindheit unter der faschistischen Diktatur erlebt. Danach hat
dich dein Weg direkt zu den Kommunisten geführt. Wie kam das, wo Du doch sicher
alltäglich der Hitler-Propaganda ausgesetzt warst?
Herbert
Mies: Naja, ich war ja nicht nur der faschistischen Propaganda ausgesetzt. In
meinem kommunistischen Elternhaus wurde ich zu selbstständigem humanistischen
Denken erzogen. Ich lernte den Krieg mit seinen Opfern und Zerstörungen hassen
und begann ihn im Kopf zu bekämpfen. Damals wollte ich Lehrer werden, doch die
Nazis verhinderten das. Da ich mich nicht nicht freiwillig als Offizier
beworben habe, haben sie mich für „unwürdig“ eingestuft deutscher Lehrer zu
werden – ich musste das Seminar verlassen.
Bei der
Befreiung 1945 waren Gewerkschaften und die fortschrittlichen Organisationen
nicht mehr existent. Doch für viele galt „Nie wieder Krieg – nie wieder
Faschismus“. Wie können wir uns die Entstehung der Freien Deutschen Jugend
(FDJ) vorstellen?
Herbert:
Ja das war die Losung von Sozialdemokraten, Antifaschisten und einem
beachtlichen Teil der Jugend. Die jungen Emigranten, die 1945/46 aus dem
antifaschistischen Exil nach Deutschland zurück kehrten wie auch die jungen Antifaschisten,
die aus den Konzentrationslagern kamen, sie alle brachten die Devise mit: Kein
kommunistischer Jugendverband, sondern eine breite antifaschistische Freie
Deutsche Jugend. Und so bildeten sich überall verschiedene Jugendgruppen, mal
als kommunistische oder sozialistische, mal als Freie Jugend oder auch Freie
Deutsche Jugend. Die erste „Freie Jugend“ entstand in Bremen, im Dezember 1945
wurde in der britischen Besatzungszone ein Landesverband gegründet. Weit
komplizierter war es in der amerikanischen und französischen Besatzungszone. So
sahen die Gruppen überall anders aus. Wir wollten uns damit aber nicht abfinden
und traten überall für die einheitliche, gemeinsame, antifaschistische
Jugendorganisation ein.
Die FDJ
stand gegen Faschismus und Militarismus, gegen Monopolmacht und für die
sozialen Rechte von Kindern und Jugendlichen. Das muss doch so kurz nach dem
Faschismus begrüßt worden sein – doch ihr wurdet staatlicher Repression
ausgesetzt.
Herbert:
Der Großteil der Jugendlichen hatte die Wirkungen des Faschismus noch nicht
bewältigt. Doch nicht wenige der antifaschistisch-demokratisch Denkenden
orientierte sich an uns Kommunisten. Es deutete sich an, dass die FDJ eine der
stärksten Jugendorganisationen werden würde. Doch in den Westzonen ging der
Zuwachs alles andere als rasant vor sich. Die schnelle Herausbildung einer
sozialdemokratischen Jugendbewegung, die große Zurückhaltung der kirchlichen
Institutionen gegen eine einheitliche Jugendorganisation und die Haltung der
Besatzungsmächte machten die Hoffnung auf eine zentrale Massenorganisation der
Jugend zunichte. Auch der Druck der Parteien tat sein übriges. Unvergessen
bleibt mir das Teufelswort von Kurt Schumacher, dem westdeutschen
SPD-Vorsitzenden, der meinte wir Kommunisten seien nur „rotlackierte Nazis“.
Und so gab es immer wieder Verweigerungen unserer Zulassung, wurden
Publikationen von uns verboten und unsere Aktionen schikanös behindert. 1951
dann waren die Drangsalierungen gegen uns westdeutsche FDJ‘ler sehr hoch.
Dennoch: Unsere FDJ war Anfang der 50er-Jahre ein Jugendverband der Aktion, von
politischer Bedeutung und Wirkung. Wir wurden zu einer starken, öffentlich
beachteten Kraft gegen die Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse.
Herbert Mies (links) |
1952
wurde das FDJ-Mitglied Philipp Müller beim Demonstrieren erschossen. 1953 wurde
der damalige FDJ-Vorsitzende Jupp Angenfort wegen „Hochverrat“ ins Zuchthaus
gesteckt. Ab dann leitetest Du die FDJ in Westdeutschland. 1956 folge das
komplette Verbot.
Herbert:
So war es, der erste Kampftote der FDJ! Und die erste Einkerkerung in ein
Zuchthaus – das waren schmerzhafte, harte, politische und psychologische
Schläge gegen unseren Verband. Doch wir mussten das verkraften. Ich musste dann
die Führung des Verbandes übernehmen, das war wahrlich keine leichte Aufgabe.
Doch mithilfe eines starken Kollektivs meisterten wir das. Ich würde heute als
Lebenslehre mitnehmen: Mit starken Kollektiven kann man Bäume versetzen und
auch der Gewalt und Macht eines Adenauer-Regimes widerstehen. Und in diese Zeit
fällt ja auch die Kommunisten-Jagd in Westdeutschland nach dem
US-amerikanischen Vorbild McCarthy. Und wir in Westdeutschland organisierten
auch Solidarität, z.B. mit den Rosenbergs. Die waren ein Ehepaar in den USA,
denen man Spionage für die Sowjetunion vorgeworfen hat. Sie wurden
hingerichtet!
Dem
Verbot der FDJ folgte dann das Verbot der Kommunistischen Partei in der
Bundesrepublik. Doch viele GenossInnen machten trotzdem weiter. Arbeitete dann
jeder für sich selbst oder wie konntet ihr Euch in der Illegalität weiter
organisieren?
Herbert:
Das gleichzeitige Verbot eines Jugendverbandes und der sie unterstützenden
Partei schuf eine besonders schwierige Situation. Welcher verbotenen
Organisation sollte man seine unteilbare Kraft geben? Vor dieser Frage stand
jeder von uns. Doch keiner brauchte auf sich selbst gestellt zu arbeiten, denn
bei aller Eigeninitiative und individueller Arbeit hatten wir ja immer unsere
Genossinnen und Genossen im Rücken. Das animierte zur Selbsttätigkeit, die ja
eben zu den Fähigkeiten eines Kommunisten gehört.
Einige
ältere Genossinnen und Genossen, die die Erfahrungen aus der Zeit des
Faschismus hatten, lehrten uns entsprechend dem Grundsatz zu arbeiten:
„Illegalisierung, das heißt so wenig Konspiration wie notwendig und so viel
legale Arbeit und Organisation wie möglich!“. Mit dieser Maxime sind wir in der
Praxis sehr gut gefahren. 1968 dann, als die Neukonstituierung einer legalen,
kommunistischen Partei auf der Tagesordnung stand, wurde das besonders
sichtbar. Junge Gewerkschafter, Aktivisten in den verschiedenen, legalen
Jugendorganisationen, alles was wir in der Zeit der Illegalität geworden waren,
setzten wir jetzt ein. Und so konnten wir im Jahr 1968 einen neuen
Jugendverband und eine neue Kommunistische Partei gründen. Das gehört zu den
historischen Verdiensten dieser Genossinnen und Genossen.
Kurz
nachdem sich die SDAJ gegründet hat, kam es auch zur Konstituierung der DKP, deren
Vorsitzender Du später wurdest. War damit die Illegalität und Repression gegen
die fortschrittlichen Bewegungen und speziell die Kommunisten vorbei?
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